Mir war irgendwie gerade nach Rührei zumute.

A Waffle House near death experience


Am Horizont erleuchtet das riesige gelbe Schild wie eine Kunstsonne die Nacht, und weit hinter dir hörst du schon die Motoren der getunten Pick–Ups mit bescheuert riesigen Reifen die an deinen gemieteten japanischen Kleinwagen heranrauschen, dich in einer Wolke aus Country-Musik und verbleiten Abgasen überholen, um dann in der Ferne in gelbes Licht getaucht von der Highway abzufahren. Getrieben vom Hunger der seit etwa 3 Stunden dein knurrender Begleiter ist, folgst du ihnen und fragst dich was du eigentlich hier tust, um 4 Uhr, an einem klatschnassen Dienstagmorgen irgendwo zwischen Dixon und Hickson, im US Bundesstaat Tennesee.

Du parkst deinen lächerlich kleinen Reiskocher auf der riesigen, trotz der frühen Stunde vor Fahrzeugen überlaufenden Asphaltfläche, zwischen zwei völlig verdreckten Pickups, oder besser ausgedrückt zwischen vier dieser bescheuert riesigen Reifen, denn die dazu gehörigen Führerhäuser kannst du vo deinem Autositz gar nicht erkennen.
Beim Öffnen der Fahrertür knallt dir die Hitze wie ein heißer, stinkender Waschlappen ins Gesicht. Etwas benommen kannst du noch eben die Tür greifen, die gerade auf dem Weg ist sich im verchromtem Unterboden des Dodge TERMINATOR neben dir zu verkeilen. Was, selbst bei objektivster Betrachtung, schmerzhafte wenn nicht gar tödliche Konsequenzen mit sich gebracht hätte, hattest du doch schon beim Einparken den Aufkleber bemerkt der in strahlendem Rot, Weiß und Blau hinten, in etwa 1 Meter 80 Höhe, an der Stoßstange prangt: „Keep America Beautiful: Shoot a tourist“.

Du wusstest genau worauf du dich einlässt als die zu dieser Reise durch den Süden aufgebrochen bist, und hattest gehofft dass die Erinnerung an diesen alten Burt Reynolds Film, in dem er und seine Kumpels auf dem Chattahoochee-Fluß einen Kanutrip durch die Hölle machen, wenigstens bis Georgia in deiner Erinnerung vergraben geblieben wäre, aber als du den Türgriff zum Waffle House in die Hand nimmst, fängt die Banjomusik in deinem Kopf schon an zu spielen.

Beim Öffnen der Tür bläst dir eine arktische Kaltfront ins Gesicht und verwandelt deine vordere Körperhälfte in einen Eiszapfen, während im mittleren Körperbereich, kurz unterhalb der Nieren ein erbitterter Kampf der Luftmassen tobt, der freilich nach etwa einer Sekunde beim Überqueren der Türschwelle mit der Kapitulation der tropischen Truppen beendet ist.




„Hahdy, hun. Hayall doonday?“ ruft dir eine fette Frau aus der Kälte zu und während das Übersetzungsprogramm in deinem Hirn diese Worte erst in Amerikanisch, (Howdy, honey. How y’all doing today) dann in normales Englisch (Hello dear, How are you today) und schließlich ins Deutsche verwandelt, sitzt du schon am Tisch und hast ein eisgekühltes Wasser vor dir stehen, in einem zerkratzten, angelaufenen Glas das aussieht als ob es schon vor der Ermordung Kennedys benutzt wurde. Und während der erste Schluck deinen Magen erfrieren lässt, kommt dir der Gedanke, dass Lee Harvey Oswald in einem Waffle House irgendwo in Dallas, am Morgen bevor er die tödlichen Schüsse abfeuerte, aus genau diesem Glas ein genauso eiskaltes Wasser trank, mit der Ausnahme dass an jenem Tag im November 1963 der Mörder der großen Amerikanischen Hoffnung wahrscheinlich in weiser Voraussicht eine dicke Strickjacke trug.

„Coffee?“ Es ist dir nicht ganz klar ob das eine Frage ist, oder doch nur eine Feststellung, denn beim zweiten „F“ ist deine Tasse schon randvoll und der Körper zur Stimme schon woanders. Du nickst trotzdem, hoffend auf die Wärme und den Koffeinkick, nimmst einen Schluck und schaust dir bibbernd den Laden genauer an.

Hässlich ist es hier. Ein einziges Bild vom Interieur eines Waffle Houses würde ausreichen um alle die langwierigen, aber irgendwie nicht wirklich präzisen Umschreibungen von Hässlich in den Wörterbüchern überflüssig zu machen. Die nimmst dir vor, sofern du je in die Zivilisation zurückkehren solltest, gleich in einer Bibliothek nachzuschauen ob Ray Charles bevor er im Musikgewerbe erfolgreich wurde, sein Geld als Innenarchitekt verdiente. Denn nur das kann die Erklärung sein für die unglaubliche Farbkombinationen die sich in deine Augen brennen. Braun auf Gelb auf Orange auf Braun auf Fett.

In den gelben, aus leicht zu reinigendem, aber offensichtlich selten gewischtem Hartplastik geformten Sitzgelegenheiten räkeln sich die örtlichen Good Ole Boys, Jungs die ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit allerlei Farmgetier gesammelt haben und die jetzt, 15 Jahre später immer noch einen verklärten Gesichtsausdruck bekommen wenn sie vom Lenkrad ihres Pick-Ups ein lebendes Schwein allein im Matsch stehen sehen. Sie tragen speckige Kunstseidenblousons mit gestickten Adlern, oder dem Namen von Saatfirmen wie „Norm’s Seed and Feed“ oder Bars wie „Tammy’s One Stop Liquors“ auf dem Rücken. Am Tresen sitzen ein paar Trucker, die sich erst auf den zweiten, genaueren Blick von den Good Ole Boys unterscheiden lassen. Sie haben alle tiefbraun gebrannte Arme, aber nur links, und tragen diese trotz der Kälte in den abgeschnittenen Ärmeln ihrer Flanellhemden stolz zur Schau. Good Ole Boys und Trucker wippen alle mit den Spitzen ihrer Cowboyboots im Takt der Countrymusik, die über die zugeranzten, mit Speckfett und Staub überzogenen Lautsprecher in das Restaurant rieselt.

Unterdessen werden die Banjos in deinem Kopf immer lauter. Ablenken! Mit den Eingeborenen jeglichen Augenkontakt vermeiden! Einen Blick auf die Karte werfen! Aber auch die hat diese gleiche, nicht zu ertragende braun-gelb-braun-orange Optik, und erzeugt durch willkürlich eingestreute Fotos von Spiegeleiern, Speck und Würstchen zusätzlich ein starkes Gefühl der Übelkeit. Die Wucht der Farben und diese furchtbare Musik verbunden mit deinem unsäglichen Hunger verwandeln deinen Kopf in einen großen Luftballon der mit Käsesauce gefüllt aus dem 34. Stock eines Hochhauses geworfen wird um dann mit 2000 Stundenkilometern auf dem heißen Asphalt zu explodieren.

In der allerletzten Sekunde, kurz vor dem Aufprall, reißt du deine Augen von der Karte.

Obwohl du deinen Atem in der kalten Luft zu erkennen meinst, läuft dir der Schweiß über den Rücken. Bei weiterer, von der mittlerweile dritten Tasse Kaffee unterstützter Betrachtung des Raumes erkennst du dass alle Servierkräfte miteinander verwandt zu sein scheinen, und das nicht unbedingt über drei Ecken. Jede von ihnen wiegt irgendwo um die 120 Kilo, hat einen fettigen Polyester Kittel in Kackbraun an, (der, zugegebener Maßen allerdings hervorragend mit den Haaren harmoniert) und alle, aber auch alle, heißen wenn man ihren Namensschildern glauben darf, Thelma. Sie sind alle mit mindestens fünfzehn Kugelschreibern ausgestattet sowie einer großen ballonförmigen Glaskanne die wahrscheinlich durch eine Art Genmutation fest mit dem Arm der Trägerin verwachsen ist. Die Kannen werden am Tisch automatisch in einen Winkel von ca. 32 Grad gelehnt, um die Tassen die 40 Zentimeter weiter unten auf der Tischplatte verteilt sind, ohne genaues Hinschauen punkt genau mit dampfender brauner Flüssigkeit zu füllen. Thelma vier ist die einzige ohne Ballonarm, denn sie hat die schwierige Aufgabe die riesigen mit 4000 Kalorien beladenen Teller aus der Küche zu den hungrigen Mäulern zu schleppen. Eine Aufgabe die sie nur mit viel Mühe zu bewältigen scheint, denn unter ihren Achseln sind riesige Schweißränder und sie schnaubt als ob jederzeit ein kardiologischer Notfall eintreten könnte.
Unglaublicher Lärm erfüllt den ganzen Raum, eine Mischung aus Garth Brooks, Gelächter, scheppernden Tassen und einem eigenartigen, nicht zu verstehendem Gebrüll der immer aus einer anderen Ecke des grell beleuchteten Raumes zu kommen scheint. Aus der Küche die aus welchem Grunde auch immer völlig offen und einsehbar ist, kommen dicke Rauchschwaden und du bist dir ziemlich sicher noch das Schreien frisch gestochener Schweine vernehmen zu können.

Hat der Good Ole Boy da Hinten hat dich angeschaut, und mit seinem Finger an seinen Cowboyhut getippt? Ganz bestimmt hat er das. Ein Gruß? Oder doch ein Geheimzeichen für seine geistig minder bemittelten Kumpels?

Dir wird schlagartig klar dass dieses Restaurant das viel erwähnte Tor zur Hölle ist.
Du sitzt in einem gelben Kanu ohne Paddel auf einem Fluss aus Schweiß und die Banjos werden immer lauter.

Und dann steht Thelma 2 vor dir, Kaugummi kauend auf deine Bestellung wartend. Du zeigst mit zittrigem Finger auf die Karte, irgendwo in dieses Kuddelmuddel aus Eiern und Fett und Kartoffeln, denn es ist doch sowieso alles egal. Wenn du hier aufgegessen hast werden die Boys von Tisch vier dich ruppig hinaus begleiten, deinen Leihwagen zertrümmern und dich in ein Sumpfgebiet zerren. Im Kreis tanzend und ihren selbst gebrannten Whiskey trinkend, werden sie Banjos spielen und dann eine weitere Kerbe in den Baum schnitzen an den sie dich nackt mit dem Gesicht in die Rinde gepresst festgebunden haben, und aus dir ein Bums-Schwein machen, ganz genau wie in dem Film mit Burt.
Mit flehendem Blick schaust der Kellnerin in die Augen bestellst erst, und flüsterst dann ganz leise „Help me. Please“.


Aber deine prekäre Lage ist ihr nicht einmal aufgefallen. Thelma BRÜLLT mit Ohren betäubender Lautstärke deine Bestellung in die Küche. Wo ihre einäugige Schwester (oder ist es doch ihre Tochter, Mutter, Cousine?), das ganze noch mal zurück in den Speisesaal schreit, um dann sogleich einen Handball großen Klumpen Schweineschmalz in eine glühendheiße Pfanne zu schmeißen. Rehydrierte Kartoffelfetzen fliegen hinterher und aus diesem letalen Fett–Wasser–Stärkegemisch erzeugt sie Stichflammen, die es mit der Höhe der Niagara Fälle mühelos aufnehmen können. Und sie lacht dabei.


Diese unglaubliche kulinarische Performance reißt dich ruckartig aus deinem katatonischen Zustand und die Realität nimmt dich wieder in ihren harten aber merkwürdig wohligen Plastikschoß auf. Der vor einigen Minuten noch so gefährlich wirkende Good Ole Boy redet gerade mit dem örtlichen Priester. Die Trucker rauchen selbst gedrehte Zigaretten. Der Kaffee fließt weiter automatisch in die bereitstehenden Tassen. So wie es wohl jeden Morgen passiert.

Die Kellnerin dreht sich zu dir und fragt ob du nicht doch ein wenig Bacon möchtest, (Lie sum bane ithat?) und eine Lebensfreude, die wohl alle erfasst die knapp der Sodomie entronnen sind, zwingt dich zu einem lauten, erleichterten „DAMN RIGHT; MA'AM! Und noch sechs Würstchen dazu, denn heute werde ich gewiss nicht sterben, auch nicht mit 1 Kilo gepökeltem Schweinfleisch zwischen den Zähnen und vier Gallonen Kaffee im Bauch.“
Thelma 2 ist sprachlos. Auch Thelma 1,3 und 4 halten inne.
Im gesamten Restaurant herrscht völlige Stille. Du tanzt in deinem Sitz, alle Augen auf dich gerichtet.

Nur die Banjomusik spielt weiter. Doch jetzt kommt sie aus den Boxen.

0124_wafflehouse_menu
Malcolm B. - 5. Apr, 16:00

Ich muss gestehen, dass ich bei Herrn Paulsen immer Hunger kriege. Hier ist er mir vergangen...

Die Frage nach Fotos erspare ich jedem also!

andropovs onkel - 5. Apr, 16:17

KRIEGST ABER DOCH BILDER!

siehe oben.
Malcolm B. - 7. Apr, 08:48

Urgs!!!

stechuhr

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Zuletzt aktualisiert: 10. Jul, 12:18

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angedockt

Ich dank recht schön!...
Ich dank recht schön! Übrigens der nachträgliche Jungesellen-Abend...
Herr Paulsen - 10. Jul, 12:18
fotos.
Ich glaube, bar jeder wissenschaftlichen Begründung,...
andropovs onkel - 9. Jul, 15:11
Da rechts.
Neben dem schiefen Mülleimer geht es runter zum Strand....
andropovs onkel - 8. Jun, 00:42
Spanien
...oder zumindest der Teil in dem ich mich gerade befinde,...
andropovs onkel - 7. Jun, 23:54

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